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 Bild: Gabriele Datenet

 

Island ...   Nordlichtzauber, Feuer und Eis ...

Etwa 31 aktive Vulkane gibt es noch heute in Island, mit eigenem Rhythmus, eigenen Phasen, wie der Eyjafjallajökull, der am 20.03.2010 ausbrach und aufgrund der ausgetretenen Vulkanasche den gesamten Flugverkehr in weiten Teilen Nord- und Mitteleuropas eingestellte ...

Mit meiner Geschichte „Feuer und Eis“ möchte ich das Leben am Fuße des Vulkans ein wenig veranschaulichen ...

Die Geschichte wurde im Juli 2011 in der Anthologie „Licht und Schatten“ im P&B-Verlag veröffentlicht.

Viel Spaß beim Lesen.

 

 

Licht und Schatten

(C) Gabriele Datenet

 

Über der kleinen Gemeinde Rangárþing eystra am Fuße des Eyjafjallajökull, im Süden Islands, lag eine gewisse Unruhe. Einige Hunde bellten unentwegt, andere rannten aufgeregt jaulend hin und her. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in Gunnar breit und er sah bedrückt zum Gletscher hinauf, der, umgeben von weißem Eis und Schnee, einem königlichen Umhang gleich, hoch und stolz in den Himmel ragte. Gunnar musste daran denken, dass dieser Vulkan zuletzt 1823 aktiv war, und dass sich damals die Hunde vor dem Ausbruch genauso merkwürdig verhalten haben sollen wie heute. Vor zwei Wochen hatten Seismografen gemeldet, dass sich in der Nähe von Fimmvorduhals, dem höchsten Punkt zwischen den beiden Gletschern Eyjafjallajökull und Mýrdalsjokull, eine Spalte im Boden aufgetan hatte und aus der Lava austrete. Zwar rührte sich die Erde, doch ein größeres Erdbeben wurde nicht verzeichnet. Gunnar schlug den Kragen seiner Jacke hoch und machte sich auf den Weg in den Stall, um das Stroh in den Pferdeboxen aufzulockern. Das unruhige Gefühl jedoch verstärkte sich zunehmenst und er fragte sich, warum er sich dieses Leben überhaupt antat. Hätte er nicht genauso von hier weggehen sollen, wie so viele andere auch? Er stützte sich auf die Forke und horchte nach draußen. Der Vulkan rührte sich, er konnte sein Grummeln ganz deutlich hören, wie ein Monster aus einem Gruselfilm. Gunnar fuhr sich über die Augen und sah sich in dem großen hellen Pferdestall um. Sein Zuhause - er war glücklich hier mit seiner Familie und den dreißig Islandpferden. Er schüttelte den Kopf und lächelte. Nein, niemals würde er von hier fortgehen. Seit vielen Generationen lebte seine Familie schon hier im Süden Islands. Fast jede dieser Farmen hier kam sogar in isländischen Sagen vor und es wurde erzählt, dass einige von ihnen sogar von Elfen erbaut worden seien. Hier auf Island war die Gefahr eines Vulkanausbruchs immer allgegenwärtig. Eine Eruption konnte den Menschen alles nehmen: ihr Vieh, ihr Haus, ihre gesamte Existenz. Und doch liebten sie Island, diese Vulkaninsel, die mit ihrer kargen Schönheit, mit dem Moos bewachsenem Lavageröll, mit den Wasserfällen und den Geysiren, mit den Trollen und den Feen, das Herz zum Lachen brachte. Island war ihr Leben, es war ihre Heimat.

Gunnar wurde aus seinen Gedanken gerissen, als seine Frau Birta aufgeregt zu ihm in den Stall gelaufen kam. Stockend erzählte sie, dass dem alten Magnús Carlovson heute Morgen plötzlich ohne ersichtlichen Grund drei Pferde weggestorben waren, und dass der dänische Schlittenhunde-Touren-Veranstalter, Ole Brodersen, vor drei Tagen zwei Gespanne verloren hatte. Als Gunnar in die tränenschimmernden Augen seiner Frau sah, in denen Furcht und Entsetzen lag, flackerte auch in ihm die Angst auf, doch er unterdrückte sie schnell, denn sie war ein schlechter Wegbegleiter. Er wusste jetzt definitiv, dass es in Kürze zu einer Eruption kommen würde, deren Kraft und Stärke nicht einzuschätzen war. Er musste einen klaren Kopf bewahren und überlegen, was als nächstes zu tun war.

Als die Evakuierung angeordnet wurde, war dies für Gunnar keine Überraschung. Deutlich hatte er das Erzittern des Bodens unter seinen Füßen gespürt, die Luft gerochen, die völlig anders war als sonst. Sie hatten sich zusammen mit den Nachbarn sofort zu den Viehwiesen aufgemacht, um Pferde, Kühe und Schafe in die angebotenen Notstallungen zu treiben, die mit reichlich Futter und Wasser versorgt, dann erst einmal in Sicherheit waren. Ein lediglich subjektives Sicherheitsgefühl, denn niemand wusste genau, ob sie ihre Tiere lebend wiedersehen würden. Mit gepackten Koffern machten sich Birta und Gunnar auf den Weg zum Gemeindehof, der als Notlager für die Bevölkerung eingerichtet worden war. Hier waren keine Tiere erlaubt und so mussten sie schweren Herzens, ihre beiden Hündinnen Lukka und Stella im Reykjaviker Zoo unterbringen und ihre geliebten Katzen auf der Farm zurücklassen, weil es auf Island kein einziges Tierheim gab.

Birta hatte einen wehmütigen Blick zurück auf die Farm geworfen, als sie gingen. Auf ihre Felder in der „Kornkammer“ des Landes, wo Obst, Gemüse und Getreide angebaut wurden, und auf ihre zurückgelassenen Katzen, die bei Gefahr den Hof verlassen würden, um dem fliehenden Kleingetier zu folgen, damit sie nicht verhungerten. Wenigstens sie würden wohl dem Inferno entkommen können...

Birta weinte. Die Angst und die Ungewissheit nahmen sie so sehr gefangen, dass sie es kaum ertragen konnte. Was würde sein, wenn sie alles verlieren würden, was sie sich über die Jahre mühsam aufgebaut hatten? Was würde sein, wenn ihre geliebten Pferde starben und auch ihre Hündinnen Lukka und Stella? Gunnar versuchte sie zu trösten. Dass sie sich beide hatten, war doch das Wichtigste, dass sie zusammenhielten, sich liebten... Und dass ihre beiden Söhne außerhalb des Landes weilten und in Sicherheit waren. Er sah sie lächelnd an und küsste zart ihre Lippen. „Wir schaffen das, mein Liebling“, flüsterte er. „Bisher haben wir alles geschafft und dieses hier, werden wir auch überstehen“.

Aus der Ferne hörten sie das basstiefe Grollen des Vulkans. Ein Geräusch wie ein heranrollendes Gewitter gleich hinterm Kamm. Ein Rumoren, das Ungewissheit verkündete. Der Eyjafjallajökull spuckte und rauchte übermütig wie ein Pubertierender und zog mit diesem Tun alle in seinen Bann, ängstlich und fasziniert zugleich.

Ein Raunen ging durch die Menge, als die Polizei Nils Erikson und seine Frau hereinführte. Nils tobte lautstark. Er schrie und trat nach den Polizisten, versuchte sich zu befreien, denn er fühlte sich in seiner Ehre gekränkt und fand, dass er als freier Mann tun und lassen konnte, was er wollte. Nils hatte sich vehement geweigert, seinen Hof zu verlassen, also hatte die Polizei ihn mit Handschellen abgeführt und so für seinen Schutz gesorgt. Als die Beamten ihm versprachen, seine Schafe in Sicherheit zu bringen, beruhigte er sich wieder etwas. Er nickte ihnen mit zusammengepressten Lippen zu und setzte sich resignierend neben seine Frau und zu den anderen Evakuierten.

Gunnar wusste, dass viele Angst hatten, ihre Höfe zu verlassen, weil sie die Ereignisse auf der Insel Heimaey, vor der Südküste Islands, nicht vergessen konnten. Als dort der Vulkan Eldfell in der Nacht zum 23. Januar 1973 ausbrach, riss auf einer Länge von mehr als zwei Kilometern der Untergrund auf und es stiegen feurige Lavafontänen bis zu 150 Meter hoch in den nächtlichen Himmel und hinterließen eine riesige Spur der Verwüstung. Die mehr als 5000 Einwohner des Fischerortes Vestmannaeyjar konnten nur durch eine sofortige Evakuierung gerettet werden. Sie wurden in Jugendherbergen und Hotels in Reykjavik untergebracht. Innerhalb einer Woche starben aber über die Hälfte der Bewohner, und bis heute weiß niemand, woran sie überhaupt gestorben waren. Viele behaupten, es sei die Strafe dafür, dass sie die Insel verlassen und ihr Hab und Gut im Stich gelassen hatten. Könnte das sein? Gunnar und Birta sahen gerührt zu Nils und Jóhanna hinüber, mit denen sie einst zusammen die Schulbank gedrückt hatten. Sie konnten seinen Ausbruch verstehen, denn auch ihnen war es nicht leichgefallen, hierher zu kommen. 

Mit Erschrecken sahen sie, wie riesige Gesteinsbrocken in den Himmel schossen und wieder zurück in den Schlund des Vulkans fielen, eine glühende Wolke von riesigem Ausmaß, die ihnen große Angst machte. Gunnar dachte an die Islandhunde und –rinder und an die in der Isländerszene berühmten Kirkjubae-Pferde, für deren Erhaltung die meisten hier kämpften. Er wusste, dass bei solchen Katastrophen diese seltenen Tierrassen regelrecht ausgerottet werden konnten, doch sie mussten es geschehen lassen, weil man nichts daran ändern konnte.

Die Befürchtung eines unendlichen Magmastroms bewahrheitete sich nicht. Stattdessen kam nach drei Tagen die Asche. Sie fiel wie dunkler Schnee und legte sich wie ein schwarzes Tuch über das gesamte Land, über Häuser, Straßen und Felder. Das Schneien hörte nicht auf. Grau-schwarze Vulkanasche wohin man auch sah. Viele Tonnen, die der Eyjafjallajökull in die Luft blies und jedes einzelne Gramm konnte gefährlich  für die Tiere werden, denn sie mochten seinen salzigen Geschmack. Die Folgen wären schlimme Vergiftungen, die mit inneren Blutungen, Knochenschäden und Zahnverlust einhergingen. Die hochgiftigen Fluoride konnten schon beim bloßen Einatmen Schäden anrichten. Das Vieh wäre praktisch wertlos. 

Gunnar und Birta und all die anderen Anwohner kämpften verzweifelt mit vielen freiwilligen Helfern gegen die Asche-Pest, die den Tag so verdunkelte, dass sie keine drei Meter weit sehen konnten. Anhänger um Anhänger schaufelten sie voll und transportierten sie ab. Sie befreiten die Hausdächer von dem feinen Staub. Das Spritzwasser verband sich mit der Asche und wurde zu einer zähen Masse. Doch durch die matschige Schicht in den Vorgärten waren erste grüne Grashalme zu sehen, wie eine kleine Insel, die neu erblühte. Aber kein Tier konnte sich mehr von diesem Boden ernähren.

Als der Ascheregen nachließ, kehrten die Bewohner wieder in ihre Häuser zurück. Viele mussten feststellen, dass massive Verluste sie an den Rand ihrer Existenz gebracht hatten. Die aggressive Stimmung der Landwirte überforderte den Amtsveterinär, der um das Leben ihrer Tiere kämpfte. Immer wieder starben Rinder und Schafe qualvoll an einer Staublunge.

Auch Gunnar und Birta mussten mit Entsetzen Verluste hinnehmen. Fast die Hälfte ihrer Pferde war krank, zwei lagen tot in ihrer Box. Dass der Wind sich nach Norden gedreht und die Flughäfen Keflavik und Reykjavik gesperrt wurden, interessierte sie nicht. Auch nicht, dass durch die Aschewolke fast der gesamte Flugverkehr in Europa lahmgelegt wurde.  Sie kämpften nicht nur mit der Asche, sondern auch mit der Angst. In der Vergangenheit hatte man festgestellt, dass auf einen Ausbruch des Eyjafjallajkull, meistens eine Eruption des zwanzig Kilometer entfernten Nachbarvulkans Katla erfolgte, die um ein vielfaches gefährlicher sein soll, als das, was sie in den letzten Tagen hier erlebt hatten. Zuletzt war der Katla 1918 ausgebrochen und sie kannten die furchtbaren Geschichten ihrer Großeltern über den Monster-Vulkan nur zu genüge. Eisberge würden die Hänge hinabfließen und alles zerstören. Sie hofften inständig, dass das nicht passierte.

Sonnenstrahlen bahnten sich einen Weg durch die Fensterscheiben des Pferdestalles und setzten Glanzlichter an die hölzernen Wände der Boxen. Birta und Gunnar hielten in ihrer Arbeit inne und beobachteten das Spiel des Lichts. In der kleinen Gemeinde Rangárþing eystra, war wieder Ruhe eingekehrt. Das Lachen und die Freude  waren zurückgekommen und die Liebe zu dem Land, das ihre Heimat war. Der Eyjafjallajökull  gab zwar immer noch ein leises Grummeln von sich, doch wollte er wohl nur noch auf sich aufmerksam machen, dass man ihn nicht vergaß. Wie könnten sie ihn vergessen, stand er doch stolz und hoch mit seinem königlichen Mantel aus Eis und Schnee vor ihnen in seiner ganzen Schönheit.  Kräftige Regenschauer in den letzten Tagen hatten die staubige Luft geklärt und die schwarze Asche mit in den Boden genommen. Das Grün entsprang dem dunklen Boden und neigte sich der Sonne entgegen. Birta und Gunnar fühlten sich wie befreit. Sie sahen hinüber zu den Pferdemüttern, die sich liebevoll um ihren Nachwuchs kümmerten. Die drei Fohlen hatten die Namen Afdrif, Andi und Álfur bekommen, was so viel wie Schicksal, Windhauch und Elfe bedeutete. Passend, denn sie hatten die schwere Zeit überstanden und waren gesund zur Welt gekommen. Das Schicksal hatte es gut mit ihnen gemeint. Der staubige Windhauch hatte sie nicht krankgemacht und Elfen hatten sich schützend vor sie gestellt. Die Katzen waren gesund zurückgekommen und striffen ihnen jetzt schnurrend um Beine. Lukka und Stella, die beiden Hündinnen, lagen neben ihnen im Stroh und wedelten klopfend mit dem Schwanz, wenn sich ihre Blicke trafen. Gunnar stellte die Forke an die Wand, nahm Birtas Hände und sah sie liebevoll an. „Ich liebe Dich, mein Schatz“, flüsterte er. Beide wussten, dass es keinen einzigen Platz auf Erden gab, der so schön war wie dieser hier.

 

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